Stellungnahme von linuxmuster.net zur geplanten digitalen Bildungsplattform in BW

Stellungnahme von linuxmuster.net an das Kultusministerium, die Landesregierung und den Landtag Baden-Württemberg

Sehr geehrte Damen und Herren,

die vergangenen Tage haben gezeigt: Wir haben IT-Kompetenz im Bildungsbereich in Baden-Württemberg.

Alle Schulen sind in einer sagenhaften Aktion von Belwü (Baden-Württembergs extended LAN – das ist das Netz der wissenschaftlichen Einrichtungen in Baden-Württemberg) mit der Lernplattform Moodle ausgestattet worden. Bei allen Bestandsschulen wurde das Moodle auf leistungsfähigere Server umgezogen, um den sprunghaften Nutzungsanstieg, ausgelöst durch die kurzfristig beschlossene Schulschließung, bewältigen zu können.

Was dieses trotz einiger temporärer Abordnungen von anderer Stelle kleine Team von Belwü seit dem 13.03.2020 geleistet hat, verdient größten Dank und Respekt. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung der Schulen. Der nächste muss kommen.

Hoffentlich erkennen die Verantwortlichen im Kultusministerium, in der Landesregierung sowie im Landtag nach der glorreichen und gelungenen Aktion von Belwü, wen sie mit einer digitalen Bildungsplattform betrauen müssen.

Zur Wahl des Systems für die digitalen Bildungsplattform:
In der Presse ( https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digitaler-Unterricht-Lernsystem-Moodle-startet-mit-Anlaufschwierigkeiten-4685075.html ) wurde Moodle mit Microsoft Office 365 oder auch MS Teams verglichen. Wie so oft liest sich daraus, dass die “marktüblichen” Produkte von Microsoft die bessere Wahl seien. Dabei wird aber vergessen:
Die Microsoft-Produkte sind für kooperative Büroarbeiten gedacht. Moodle ist ein Online Lern- und Kursmanagementsystem. Das eine ist für das Büro gemacht, das andere (Moodle) für Bildungseinrichtungen (Schulen wie Universitäten). Ein Vergleich zwischen den Systemen, die für völlig verschiedene Anwendungszwecke entwickelt sind, muss hinken.

Eine digitale Lehr- und Lernplattform hat völlig andere Ansprüche als reine E-Mail-, Office-, Cloud- und Team-Kommunikation- und Kooperation, wie es Microsoft Office 365 und MS Teams bereitstellen.

In der aktuellen Situation hat Baden-Württemberg zwei Pfründe:

  1. die Jahrzehnte lange Erfahrung von BelWü im Bildungsbereich (Verwaltungsnetzwerk, E-Mail, Moodle)
  2. das seit über 15 Jahren im Land getragene Moodle

Digitalisierung ist nicht “einfach”, und schon gar nicht im Bildungsbereich. Wer das behauptet … will wohl etwas verkaufen oder hat keine Ahnung.

Moodle kann sehr viel und ist auch deswegen nicht immer ganz einfach. Jahrelang war deshalb das Verbreiten von Moodle im Ländle sehr zäh voran gegangen. Jetzt haben wir das Momentum, jetzt sehen die Kollegen, dass das nicht nur etwas neues ist, was Arbeit macht, sondern auch etwas sein kann, das den Unterricht über das Klassenzimmer hinaus erweitert und dabei hilft, lernen raum- und zeitunabhängiger zu machen.

Das Falscheste, was man in dieser Situation machen könnte, wäre, dass man Moodle wieder wegnimmt, nachdem sich endlich Kolleginnen und Kollegen breitflächig mit Moodle auseinandersetzen, sich darin einarbeiten und es – auch von den Schülerinnen und Schülern – intensiv genutzt wird.

Moodle ist die weltweit führende Online-Lernumgebung, die an unzähligen Schulen wie Universitäten zum Einsatz kommt. Es gibt nichts besseres und es gibt nichts günstigeres.

Daher sollte man nun durch ein starkes Bekenntnis des KMs zu Moodle das Momentum nutzen und befördern. Das Beste dabei:
Die Hälfte (oder mehr) einer digitalen Bildungsplattform hat jede Schule mit Moodle jetzt schon.
E-Mail und Nextcloud mit cloudbasiertem Online-Office (Collabora) dazu, und schon hat jede Schule, was sie zunächst mal dringend braucht. Wir haben den zweiten Baustein, E-Mail, ebenfalls bereits im Land – ebenfalls bei Belwü.
Das Ganze dann im Laufe der Zeit noch mit Funktionen wie Webinar (z.B. BigBlueButton) und einem selbst gehosteten Messenger (z.B. Mattermost, Matrix, …) komplettieren – und wir behalten dank Open Source und Hosting in Baden-Württemberg die digitale Souveränität.

Um nochmals auf den o.g. Presseartikel ( https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digitaler-Unterricht-Lernsystem-Moodle-startet-mit-Anlaufschwierigkeiten-4685075.html ) zurückzukommen:

Oft wird behauptet, eine “professionelle” (kostenpflichtige) Lösung eines “marktüblichen” globalen Players wäre besser oder würde zuverlässiger funktionieren.
Moodle ist kein Stück schlechter als andere Lösungen. Im Gegenteil: Moodle ist wie erwähnt das weltweit führende Lehr- und Lernsystem für Bildungseinrichtungen.
Die im Presseartikel erwähnten Anlaufschwierigkeiten lagen nicht an Moodle und nicht an Belwü, sondern an dem oben beschriebenen explosionsartigen Nutzeranstieg, dessen Notwendigkeit so niemand rechtzeitig genug vorhersehen konnte.

Bei einem so sprunghaften Nutzungsanstieg wäre auch jedes andere System erst mal kaum nutzbar gewesen, bis es skaliert worden wäre.
Es gibt keine Plattform und kein System, das nicht bei einem massiven Anstieg der Zugriffe innerhalb kürzester Zeit in die Knie geht. Das ist Microsoft schon passiert, das ist Amazon passiert, Apple, Google, Facebook und wie die „Großen“ alle heißen.

Der Internetauftritt des Kultusministeriums BW war wegen des massiven Anstiegs an Zugriffen, um sich zu über den Stand der Corona-Entwicklung zu informieren, so überlastet, dass er zeitweise auf eine statische Seite umgeschaltet werden musste.

Bei Gruber & Petters, Anbieter von (Web)Untis, das an (zehn)tausenden Schulen weltweit genutzt wird und die daher sicher keine kleine IT-Infrastruktur haben, war der Messenger 2 Tage fast nicht nutzbar, einige Zeit sogar komplett down, bis die Server auf den massiven Nutzungsanstieg skaliert wurden. Selbst danach hat auch Gruber & Petters immer wieder mit Ausfällen des Messengers zu kämpfen. Siehe https://status.webuntis.com (Stand 24.03.2020 14:08 Uhr).

Leider werden Entscheidungsträger immer wieder durch blumige und wortreiche Hochglanzprospekt-Versprechen der finanzstarken internationalen Großkonzerne wie Microsoft, Apple, Google, Facebook & Co geködert, auch wenn man die Auslegung der DSGVO dehnen muss wie Kaugummi.
Dabei werden aber Daten unserer Schülerinnen und Schüler „verkauft“ und unsere Jugend vom Start weg in marktbeherrschende und kartellartige Abhängigkeiten gezwungen, aus denen es später eigentlich keinen Ausweg mehr gibt.

Es ist aber nicht Aufgabe von Schulen und des Bildungssystems, Produktschulung und Produktbindung für internationale Großkonzerne zu betreiben, ganz im Gegenteil.

Wir Lehrkräfte wollen dem durch Verfassung und Schulgesetze festgelegten Bildungsauftrag gerecht werden und unsere Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern erziehen, die eine freie Wahl haben – auch, welche EDV-Systeme sie nutzen.
Wer nie etwas anderes kennengelernt hat, kennt auch keine Alternativen und hat demnach keine freie Wahl.

Daher wünschen wir von linuxmuster.net uns, dass Baden-Württemberg beim Aufbau einer digitalen Bildungsplattform auf das setzt, was mit Belwü und Moodle schon vorhanden ist und worin gerade in kürzester Zeit großartige Kompetenzen bei Lehrerinnen und Lehrern sowie bei Schülerinnen und Schülern entstanden sind und weiter entstehen.

Das wäre neben der Nachhaltigkeit für erworbene Kompetenzen auch ein klares Zeichen für die Einhaltung des Koalitionsvertrags der Landesregierung, der für die IT-Beschaffung die Stärkung und Föderung von Open Source vorsieht („Wir werden die E-Government-Richtlinien und das Beschaffungswesen des Landes bei der IT-Beschaffung in Richtung Open Source weiterentwickeln… Auch die Bereitstellung freier Software und offener Bildungsressourcen (OER) durch das Landesmedienzentrum begrüßen und unterstützen wir.“ und „Wir setzen uns dafür ein, dass an den Schulen verstärkt freie Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources und Freie Software) genutzt werden können.“)

Hinzu kommt eines der größten Probleme mit der Nutzung von kommerziellen Anbietern, insbesondere den globalen Playern wie Microsoft, Apple, Google, Facebook & Co:
Man macht sich – in diesem Fall sogar als Staat – von internationalen Großkonzernen abhängig, deren einziges Streben der Profit ist. Das unterstreicht auch folgender aktueller Kommentar in der Presse:
Kommentar: Microsoft und Slack schlagen aus der Krise schamlos Kapital

Slack und Teams kommen gerade gut an – wobei die Anbieter alles tun, um die Krise auszunutzen und eine vormals freie Infrastruktur an sich zu reißen.

Staatliche Souveränität, Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit lassen sich damit nicht gewährleisten.

Was das in Zeiten, in denen man das System am Meisten brauchen würde, bedeuten kann, zeigt beispielhaft der folgende Artikel:
Nutzerandrang: Dienste von Microsoft 365 werden eingeschränkt

Wir appellieren daher noch einmal an alle Verantwortlichen und Entscheidungsträger:
Bitte lassen Sie die Souveränität im eigenen Land, setzen Sie, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, auf Open Source und machen Sie Baden-Württemberg und Deutschland nicht abhängig von internationalen Großkonzernen, denen es nur um den eigenen Profit geht.

Unterstrichen wird die Tatsache, dass der seit Jahren mit Belwü und Moodle beschrittene Weg der richtige ist, auch durch die Meldung des Kultusministeriums selbst:
Zusätzliche Serverleistung für Lernmanagementsystem

Hochachtungsvoll,
linuxmuster.net e.V.
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